Europäer arbeiten deutlich weniger als Amerikaner

Die Makroökonomin Prof. Nicola Fuchs-Schündeln untersucht weltweit Unterschiede im Arbeitsverhalten. Im Ehegattensplitting sieht sie den Hauptgrund dafür, dass deutsche Ehefrauen vergleichsweise wenig arbeiten.

Sie arbeiten aktuell an mehreren Publikationen, die auf einem großen internationalen Datensatz zum Arbeitsverhalten verschiedenster Bevölkerungsgruppen basieren. In einem Papier beleuchten Sie die Unterschiede im Arbeitsangebot von Europäern und US-Amerikanern. Was haben Sie herausgefunden?

In diesem Forschungspapier[1] haben wir uns die Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren in 18 europäischen Ländern sowie in den USA angeschaut. Danach arbeiten Europäer zwischen 16 und 19 Prozent weniger Stunden pro Jahr als Amerikaner. Um herauszufinden, woran das genau liegt, haben wir die gesamten Arbeitsstunden in drei Komponenten aufgeteilt: zum einen die Erwerbsquote, also den Prozentsatz der Bevölkerung, der überhaupt arbeitet; zum zweiten die Anzahl der Arbeitswochen pro Jahr, also abzüglich der Ferienwochen; und schließlich die tatsächlich geleisteten Stunden pro Arbeitswoche. Wir haben herausgefunden, dass zwischen 30 und 50 Prozent des Unterschiedes allein auf die größere Anzahl an Ferienwochen in Europa zurückzuführen ist. Darüber hinaus haben wir uns auch andere relevante Faktoren angeschaut und festgestellt, dass auch das Thema Ausbildung eine große Rolle spielt. Insbesondere Süd- und Osteuropäer haben ein durchschnittlich niedrigeres Bildungsniveau als US-Amerikaner. Da die Erwerbstätigkeit überall mit dem Bildungsniveau steigt, erklärt dies wiederum ein Drittel bis zu einer Hälfte des Unterschiedes.

Und innerhalb Europas ist das Arbeitsangebot ähnlich?

Nein, auch innerhalb Europas gibt es große Unterschiede bei Erwerbstätigkeit und Wochenarbeitszeit. In Skandinavien und Westeuropa nehmen mehr Menschen am Erwerbsleben teil als in den USA, aber sie arbeiten weniger Stunden pro Woche, was sich vor allem auf mehr Teilzeitarbeit – überwiegend von Frauen – zurückführen lässt. In Ost- und Südeuropa ist es dagegen genau umgekehrt. Da ist die Erwerbsbeteiligung deutlich niedriger, aber die Stunden pro Arbeitswoche höher als in den USA. Die Ursache für diese Unterschiede lässt sich in verschiedenen Regularien vermuten, die Teilzeitarbeit ermöglichen, fördern oder verhindern.

In einer anderen Studie[2] haben Sie die Unterschiede im Arbeitsangebot von Ehepartnern und Singles untersucht und sind vor allem auf große Abweichungen bei verheirateten Frauen gestoßen.

In diesem Papier haben wir uns auf die Altersgruppe 25 bis 54 fokussiert, um Einflüsse durch unterschiedlich lange Ausbildungszeiten und Aspekte wie Frühverrentung auszuschließen. Wir haben die Arbeitsstunden verschiedener Gruppen analysiert und dabei ist uns aufgefallen, dass die verheirateten Frauen völlig aus dem Rahmen fallen. Für verheiratete Männer genauso wie für Single-Männer und -Frauen finden sich immer ähnliche Unterschiede zwischen den Ländern: Dort, wo verheiratete Männer im internationalen Vergleich wenig arbeiten, arbeiten auch Singles wenig, und umgekehrt, sodass man auf die gleichen Einflussfaktoren schließen kann. Das Arbeitsverhalten der verheirateten Frauen verhält sich dagegen völlig anders als das der anderen Gruppen. Da gibt es überhaupt keine Korrelationen. Außerdem ist uns aufgefallen, dass die Variation innerhalb Europas bei verheirateten Frauen viel größer ist als in den anderen Gruppen. Ehefrauen in Skandinavien und Osteuropa arbeiten fast so viel wie in den USA – ihr Unterschied zu den USA ist sogar geringer als derjenige der Männer –, während die Ehefrauen in West- und Südeuropa deutlich weniger arbeiten.

Wie erklären Sie sich diese Unterschiede?

Wir haben festgestellt, dass diese Abweichungen vor allem auf die unterschiedliche Besteuerung von Ehepaaren zurückzuführen sind. Hier gibt es international zahlreiche Varianten, die von völlig getrennter Besteuerung bis zu einer gemeinsamen Besteuerung im Stil des deutschen Ehegattensplittings reichen, mit vielen Unterschieden im Detail. Eine gemeinsame Besteuerung bedeutet dabei immer, dass der Steuersatz des einen Ehepartners nicht nur von der Höhe des eigenen Einkommens, sondern auch des Einkommens des anderen Ehepartners abhängt. Bei progressiven Steuertarifen und einem arbeitenden Ehemann zahlt die Ehefrau somit bereits ab dem ersten verdienten Euro deutlich mehr Steuern, als wenn sie nicht verheiratet wäre. Entscheidend ist dabei also nicht der Durchschnitts-, sondern der Grenzsteuersatz. Natürlich werden nicht die Geschlechter unterschiedlich besteuert, sondern Erst- und Zweitverdiener, aber de facto sind das in der großen Mehrheit der Fälle halt Männer vs. Frauen.

Der Effekt daraus lässt sich gut an den drei Ländern Deutschland, USA und Schweden zeigen. Deutsche und schwedische Ehemänner arbeiten etwa 15 Prozent weniger Stunden als US-Ehemänner, schwedische Ehefrauen vier Prozent weniger als amerikanische, und deutsche Ehefrauen ganze 34 Prozent weniger. Die Unterschiede bei den Männern lassen sich recht gut mit den durchschnittlich höheren Steuern in Deutschland und Schweden im Vergleich zu den USA erklären. Bei den Ehefrauen kommt dagegen, wie beschrieben, der Grenzsteuersatz zum Tragen, und der ist in Schweden und den USA etwa gleich hoch. Denn hier gleichen sich zwei Effekte aus: In Schweden sind zwar die Steuern insgesamt höher als in den USA, dafür werden aber Ehepartner – im Gegensatz zu den USA – getrennt besteuert. In beiden Ländern kommt für die Frauen somit ein Grenzsteuersatz von etwa 30 Prozent heraus, wenn sie mit einem durchschnittlich verdienenden Ehemann verheiratet sind und anfangen, Vollzeit zu arbeiten – der Unterschied im Arbeitsangebot ist entsprechend gering. In Deutschland haben wir dagegen sowohl relativ hohe Steuern als auch das Ehegattensplitting, womit der Grenzsteuersatz für solche Ehefrauen bei knapp 50 Prozent liegt. Entsprechend niedrig ist die Erwerbsbeteiligung.

Ehefrauen in Deutschland sind also steuerlich extrem benachteiligt. Sollte man das ändern?

Das ist letztlich eine politische Entscheidung. Allerdings sprechen einige Gründe – der demografische Wandel, der drohende Fachkräftemangel, aber letztlich auch Gerechtigkeitsaspekte – dafür, Frauen bessere Anreize zu geben, am Erwerbsleben teilzunehmen. Eine Korrektur des Ehegattensplittings hätte dabei nach unseren Ergebnissen eine enorme Hebelwirkung. Wir haben einmal durchgerechnet, welche Auswirkung es hätte, wenn man in verschiedenen Ländern auf eine getrennte Besteuerung wechseln würde (s. Abbildung). Dabei lassen wir die Gesamtsteuerlast des Haushaltes unverändert und gleichen nur die Grenzsteuersätze der beiden Ehepartner an. In Deutschland wäre dieser Effekt enorm hoch: Ehefrauen würden 280 Stunden – also sieben Wochen – pro Jahr länger arbeiten, wenn sie wie Singles besteuert würden. Damit befindet sich Deutschland im internationalen Vergleich, gemeinsam mit Belgien, mit deutlichem Abstand an der Spitze. Insofern finde ich schon, dass man darüber nachdenken sollte, die finanzielle Förderung von Ehe und Familie auf einem anderen Weg zu realisieren, der die relativen Grenzsteuersätze der Ehepartner nicht derart manipuliert.

In einer weiteren Studie[3] haben Sie die durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden in 81 Ländern mit dem jeweils durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen verglichen. Auch hier kommen Sie auf immense Unterschiede.

Wir haben die Länder nach Pro-Kopf-Einkommen in ein armes, ein mittleres und ein reiches Drittel eingeteilt und berücksichtigen alle Menschen ab 15 Jahren. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit beträgt danach im reichen Drittel – inklusive Schüler, Rentner und alle nicht Erwerbstätigen – 19 Stunden, während es in den armen Ländern 29 Stunden sind. Die Menschen im ärmsten Drittel arbeiten also 50 Prozent mehr Stunden als im reichsten Drittel. Besonders stark ist der Effekt bei den Alten, den Jungen und bei schlecht Ausgebildeten.

Auch hier haben wir versucht, die Effekte genauer zuzuordnen. Zwei Drittel des Unterschiedes lassen sich danach über den Faktor Erwerbsbeteiligung erklären, wobei hier der Abstand bereits zwischen dem ärmsten und dem mittleren Drittel sehr groß ist. Vermutlich spielen dabei funktionierende Renten- und Sozialsysteme eine große Rolle. Ein weiteres Drittel des Unterschiedes ist auf die Wochenarbeitszeit zurückzuführen. Hier wiederum gibt es kaum eine Differenz zwischen armen und mittleren Ländern, während sich ein großer Sprung zwischen dem mittleren und dem reichen Drittel vollzieht. Es scheint, dass erst ab einem entsprechend hohen Wohlstandsniveau Angebote wie Teilzeitarbeit zum Tragen kommen.

Stellen Ihre Ergebnisse die Entwicklungsökonomie vor ein neues Rätsel?

Dass es große Wohlfahrtsunterschiede zwischen armen und reichen Ländern gibt, ist nicht neu. Allerdings hat man bislang in internationalen Vergleichen immer das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zugrunde gelegt. Bezieht man aber die Unterschiede in den Arbeitsstunden mit ein, sind die Wohlfahrtsunterschiede noch mal um 40 Prozent größer als bislang angenommen. Denn unsere Ergebnisse zeigen, dass die Menschen in armen Ländern nicht nur weniger konsumieren können, sondern auch weniger Freizeit haben. Auch für die gemessenen Unterschiede in Arbeitsproduktivität hat das Folgen: Die Unterschiede im BIP pro geleisteter Arbeitsstunde sind 20 Prozent größer als die Unterschiede im BIP pro Arbeiter. Insofern kann man nicht von einem neuen Rätsel sprechen, aber das Rätsel ist noch einmal deutlich größer geworden.


Quelle: UniReport 5-2016, Seite 7

[1] Bick, A., Brüggemann, B., Fuchs-Schündeln, N., Hours Worked in Europe and the US: New Data, New Answers, Working Paper
[2] Bick, A., Fuchs-Schündeln, N., Taxation and Labor Supply of Married Couples across Countries: A Macroeconomic Analysis
[3] Bick, A., Fuchs-Schündeln, N., Lagakos, D., How Do Average Hours Worked Vary with Development? Cross-Country Evidence and Implications

Top