Bail-In Tracker: Funktionieren die neuen EU-Regeln zur Bankensanierung?

Martin Götz ist Professor für Regulierung und Stabilität von Finanzinstituten am Forschungszentrum SAFE. Seine Forschungsinteressen liegen in den Feldern Financial Economics, Banking und angewandte Mikroökonomie. Von 2010 bis 2013 war Götz als Financial Economist in der Risk and Policy Analysis Unit der Federal Reserve Bank von Boston tätig. Er hat einen Ph.D. in Economics von der Brown University, Providence/Rhode Island, und einen M.Sc. in Financial and Industrial Economics von Royal Holloway, University of London.

SAFE hat kürzlich den „Bail-In Tracker" veröffentlicht, ein Projekt von SAFE Rechtsprofessor Tobias Tröger, Stephan Lorz von der Börsen-Zeitung und Ihnen. Worum geht es in dem Projekt?

Die Idee des Bail-In-Tracker ist es, Informationen bereitzustellen über die Anwendbarkeit der neuen europäischen Bail-In-Regeln, die in der EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Banken (BRRD) niedergelegt sind. Die BRRD erlaubt es Abwicklungsbehörden, Gläubiger von Banken im Falle einer finanziellen Schieflage des Instituts in Haftung zu nehmen, indem ein Teil ihrer Schuldtitel in Eigenkapital umgewandelt wird (Bail-In). Ein „Wasserfall-Prinzip" legt die Reihenfolge fest, nach der bestimmte Verbindlichkeiten einer Bank für einen Bail-In herangezogen werden. Die nachrangigen Verbindlichkeiten einer Bank sind dabei als eine der ersten Anleiheklassen an der Reihe, sollte das Tier-2-Kapital einer Bank nicht ausreichen. Um zu untersuchen, wie effektiv die neuen Bail-In-Regeln sein können, haben wir öffentlich verfügbare Informationen zusammengestellt über die Höhe der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten von 36 Großbanken aus 15 europäischen Ländern. Auf Basis dieser Daten bietet der Bail-In-Tracker regelmäßig aktualisierte Informationen über die Größenordnung eines potenziellen Bail-In der entscheidenden Bilanzposition bei jeder der untersuchten Banken. Darüber hinaus machen wir die Daten und die Methodik auf unserer Webseite öffentlich.

Was haben Sie nach Analyse der Daten herausgefunden?

Wir haben festgestellt, dass die Gesamtsumme der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten der europäischen Großbanken in unserem Beobachtungszeitraum, der bis Juli 2011 zurückgeht, angestiegen ist. Dies weist einerseits darauf hin, dass sich ein größeres Volumen dieser Finanzinstrumente, die zu einem Bail-In herangezogen werden könnten, auf dem Markt befindet. Andererseits sind die von uns untersuchten Banken in den vergangenen Jahren insgesamt gewachsen, sodass der Anteil der nachrangigen Verbindlichkeiten in Prozent aller Verbindlichkeiten über den Beobachtungszeitraum relativ stabil bei etwas weniger als drei Prozent geblieben ist. In einer separaten Studie (Götz and Tröger, 2016) haben wir uns die einzelnen Institute näher angeschaut und herausgefunden, dass Banken, die weniger Eigenkapital haben, in der Regel einen höheren Anteil an nachrangigen Verbindlichkeiten vorweisen. Das ist interessant, da Banken mit geringeren Eigenkapitalquoten einen kleineren Kapitalpuffer haben und damit eine größere Wahrscheinlichkeit besteht, dass die im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten dieser Banken zu einem Bail-In herangezogen werden.

Haben die Banken ihre Bilanzen seit der Einführung der BRRD-Richtlinie angepasst?

Diese Frage interessiert uns sehr. Es wäre ja vorstellbar, dass Banken zum Beispiel das Segment der nachrangigen Verbindlichkeiten seither zurückgefahren haben, da es nun für Investoren riskanter geworden ist. Es könnte sein, dass diese nun lieber auf andere Weise in Banken investieren und Instrumente nutzen, bei denen die Wahrscheinlichkeit eines Bail-In geringer ist, wenn es hart auf hart kommt. Da Banken aber eine Vielzahl an Möglichkeiten haben, ihre Bilanzen als Reaktion auf die neue Regulierung anzupassen, sind leider detailliertere Daten nötig, um diese Frage zu beantworten. Diese Daten werden von Abwicklungsbehörden erhoben, sie sind aber nicht öffentlich verfügbar. Insofern hoffe ich, dass diese Institutionen in Zukunft Studien zu diesem Thema vorlegen.

Gibt es Unterschiede zwischen den Ländern in Bezug auf die Höhe der nachrangigen Verbindlichkeiten?

Abb. 1: Durchschnittliche Höhe der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten im Verhältnis zu allen Verbindlichkeiten in verschiedenen Ländern im Juli 2011 und im September 2016.

Wir sind auf überraschend große Unterschiede zwischen den europäischen Banken gestoßen (s. Abb. 1). Zum Beispiel weisen britische Banken in ihrer Finanzierungsstruktur einen höheren Anteil nachrangiger Verbindlichkeiten auf als Banken aus anderen Ländern: Etwa 6 Prozent im Jahr 2011 und aktuell mehr als 7,5 Prozent ihrer Verbindlichkeiten bestehen aus im Umlauf befindlichen nachrangigen Titeln. Der Grund ist eine andere Finanzierungskultur im Bankensektor in Großbritannien, wo nachrangige Verbindlichkeiten immer schon verbreiteter waren. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich Finanzinstitute in Griechenland, Dänemark und Spanien. Banken in diesen Ländern halten im Durchschnitt nur einen sehr kleinen Anteil ihrer Verbindlichkeiten, nur etwa ein Prozent, in Form von nachrangigen Anleihen. In allen drei Ländern hat sich dieser Anteil in den vergangenen fünf Jahren auch noch einmal deutlich verringert. Das ist nicht überraschend, wenn man etwa an die griechischen Banken denkt und all die Probleme, die sie in den letzten Jahren durchgemacht haben. Ihre Kapitalstruktur hat sich deutlich verändert, und sie werden noch einige Zeit brauchen, um an die Kapitalmärkte zurückzukehren und nachrangige Verbindlichkeiten als Finanzierungsinstrumente zu emittieren.

 

Sie haben sich auch die Währung der nachrangigen Verbindlichkeiten angeschaut.


Abb. 2: Durchschnittlicher Anteil der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten, emittiert in Euro und anderen Währungen.

Ja, wir fanden es interessant, dass Banken mit Hauptsitz in der Eurozone etwa 15 Prozent ihrer nachrangigen Verbindlichkeiten in einer anderen Währung als Euro begeben. Die meisten dieser Anleihen lauten auf US Dollar, die zweithäufigste Fremdwährung sind britische Pfund. Der Anteil an nachrangigen Verbindlichkeiten, die in einer anderen Währung als Euro emittiert wurden, ist in den letzten Jahren leicht gestiegen (s. Abb. 2). Wenn man sich dieses Thema genauer anschaut, scheint es, dass der Anteil der in einer Fremdwährung emittierten nachrangigen Verbindlichkeiten umso höher liegt, je größer die Bank ist. Der Grund für den wachsenden Anteil an Anleihen in anderen Währungen liegt höchstwahrscheinlich an besseren Marktbedingungen und der Gelegenheit, andere Investoren zu adressieren. Für uns ist dieses Merkmal interessant, da es die Anwendbarkeit der BRRD-Regeln beeinflussen könnte – insbesondere, da Emissionen in fremden Währungen ein Währungsrisiko mit sich bringen. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man die Gesamtsumme an nachrangigen Verbindlichkeiten bewertet sowie die Frage, ob diese in einer Notlage ausreicht oder nicht.

Ein weiteres Ergebnis betrifft die Unternehmensebene, welche die Anleihe emittiert.


Abb. 3: Durchschnittlicher Anteil der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten, emittiert auf Mutter- oder Tochterebene.

Wir haben untersucht, ob Banken ihre nachrangigen Verbindlichkeiten auf Ebene des Mutterkonzerns oder auf Ebene von Tochtergesellschaften emittiert haben. Im Durchschnitt wird rund ein Viertel der im Umlauf befindlichen nachrangigen Verbindlichkeiten von Tochtergesellschaften begeben mit einem leichten Rückgang in den letzten Jahren (s. Abb. 3). Mit Blick auf das BRRD-Verfahren bringt dieses Emissionsverhalten einen weiteren Grad an Komplexität ins Spiel. Schuldtitel, die auf Tochterebene emittiert wurden, könnten zum Beispiel anderen Rechtsprechungen unterliegen, anderen Marktreaktionen und so weiter.

Mit Blick auf alle unsere Ergebnisse ist jedoch weitere Forschung nötig, um die Motivation zu untersuchen, die Banken dazu veranlasst, ihre Anleihen auf diese oder eine andere Weise zu emittieren. Wir haben vor, all diese Fragen noch detaillierter zu untersuchen, hoffen aber auch, dass unsere Datensammlung andere Wissenschaftler animiert, eigene Studien zum Thema durchzuführen.

Der Bail-In-Tracker (www.bail-in-tracker.eu) ist ein interdisziplinäres Projekt des Forschungszentrums SAFE in Kooperation mit der Börsen-Zeitung, gefördert von der VolkswagenStiftung im Rahmen des Projekts „Wissenschaft und Datenjournalismus".

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