Konjunkturzyklen und rationale Unaufmerksamkeit

Wie es sich auf die Untersuchung von Konjunkturzyklen auswirkt, wenn man annimmt, dass Haushalte und Firmen Informationen nur begrenzt aufnehmen und verarbeiten können

Die USA und Europa haben in den letzten Jahren große Rezessionen durchgemacht. Dies hat erneut deutlich gemacht, wie wichtig das Verständnis von Konjunkturzyklen ist: Welche Schocks führen zu einer Rezession? Wie verbreiten sich Schocks innerhalb einer Volkswirtschaft? Wie sollte die Politik reagieren?

Im konventionellen wirtschaftswissenschaftlichen Verständnis von Konjunkturzyklen verarbeiten alle Akteure zu jeder Zeit alle zur Verfügung stehenden Informationen optimal. Sowohl die Reale Konjunkturzyklustheorie als auch die neu-keynesianische Theorie teilen diese Sichtweise. Angestoßen von Christopher A. Sims im Jahr 2003 (Link) wurde in den letzten Jahren eine alternative Perspektive auf Konjunkturzyklen entwickelt, insbesondere von Mirko Wiederholt, Professor für Makroökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt, und seinen Ko-Autoren. Nach dieser Theorie der „rationalen Unaufmerksamkeit“ haben Akteure nur begrenzte Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten, sodass sie sich entscheiden müssen, welchen wirtschaftlichen Kennzahlen und Ereignissen sie Aufmerksamkeit schenken und welche sie ignorieren.

In einer aktuellen Publikation zeigen Wiederholt und Bartosz Mackowiak (EZB), dass diese neue Sichtweise wichtige Erklärungen liefert in Bezug auf die Frage, wie sich Schocks innerhalb einer Volkswirtschaft verbreiten.* Sie entwickeln ein dynamisch-stochastisches allgemeines Gleichgewichtsmodell (DSGE), in dem Haushalte und Unternehmer begrenzte Aufnahmefähigkeit besitzen und ihre Aufmerksamkeit optimal einsetzen. Im Gegensatz zu konventionellen DSGE-Modellen, die verschiedene Ursachen für langsame Anpassungsreaktionen berücksichtigen, um makroökonomische Daten korrekt abzubilden, verwendet dieses Modell als einzige Quelle für Anpassungsreaktionen den Aspekt der rationalen Unaufmerksamkeit. Nichtsdestotrotz bildet es die makroökonomischen Daten genauso gut ab wie konventionelle DSGE-Modelle. Dieses Ergebnis ist wichtig, da eines der wesentlichen Argumente für konventionelle DSGE-Modelle, die aktuell für die Analyse von Geldpolitik benutzt werden, ihr Erfolg ist, empirischen Daten gerecht zu werden.

Die Ergebnisse haben zudem bedeutende Auswirkungen für die Analyse von Politikmaßnahmen. Für die Politik ist es entscheidend, ob Anpassungsreaktionen auf Schocks auf rationale Unaufmerksamkeit von Entscheidern zurückzuführen sind oder auf verschiedene Formen von Anpassungskosten (wie in konventionellen DSGE-Modellen). So sagt das Modell der Autoren voraus, dass Akteure in unruhigen Zeiten der Volkswirtschaft als ganzer mehr Aufmerksamkeit zuwenden und die Verbreitung von Schocks sich dadurch verändert. Demgegenüber prognostizieren konventionelle DSGE-Modelle, dass sich die Schockverbreitung nicht verändert.

Ein anderes wichtiges Ergebnis betrifft die Geldpolitik. Die optimale Konsumreaktion auf einen makroökonomischen Schock hängt in dem Modell vom aktuellen und zukünftigen Realzins ab. Allerdings legt das Modell nahe, dass Haushalte makroökonomischen Schocks wenig Aufmerksamkeit schenken, was bedeutet, dass sie den Realzins kaum beachten. Das ist von großer Bedeutung, denn in einer breiten Klasse von Modellen nimmt die Geldpolitik Einfluss auf die Realwirtschaft, indem sie den Realzins verändert. Wenn dies aber tatsächlich der Kanal ist, über den die Geldpolitik die Realwirtschaft beeinflusst, dann ist die Aufmerksamkeit, die Haushalte dem Realzins schenken, entscheidend.

* Mackowiak, B., Wiederholt, M. (2015): “Business Cycle Dynamics under Rational Inattention”, Review of Economic Studies, Vol 82, pp. 1502-1532.

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