„Suchbegriffe sind wie ein Zauberwort“ - Teil 2

Zweiter Teil des Interviews mit Marketing-Professor Bernd Skiera

Andere Internetseiten haben zum Teil auch sehr wertvolle Informationen über ihre Kunden und deren Kaufverhalten. Lässt sich das nicht ebenfalls gezielt für Werbung nutzen?

Ich denke, dass da noch viel ungenutztes Potenzial liegt. Die Regel in Online-Shops ist: Ein Prozent der Besucher kauft etwas, 99 Prozent gehen wieder. Die Frage ist also: Wie kann ich mit diesen 99 Prozent trotzdem Geld verdienen? Bisher nutzen Unternehmen ihre Informationen über das übliche Kaufinteresse und -verhalten ihrer Kunden nur, um die eigenen Produkte zu verkaufen. Man könnte aber auch weiter denken. Ein Beispiel: Ich suche auf der Lufthansa-Seite nach einem Flug nach Australien. Lufthansa kann mir dafür nur Flüge zu Preisen anbieten, von denen es durch mein bisheriges Kaufverhalten weiß, dass sie für mich zu teuer sind. Es ist also sicher, dass ich das Produkt nicht kaufe, aber Lufthansa besitzt die extrem wertvolle Information, dass ich einen Flug nach Australien in einem günstigeren Preissegment höchstwahrscheinlich kaufen würde. Diese Information könnte sie gegen Provision an eine günstigere Airline verkaufen, auf die ich dann weiterverlinkt werde. Die Idee dahinter: Ich weiß ganz genau, was jemand haben will, und ich biete diese Information zum Verkauf. Dafür lassen sich hohe Preise verlangen. Ich sehe da einen riesigen Markt.

Wie werden Werbeplätze – bei Google oder anderen Webseiten – oder auch solche Links vergeben? Wie ermittelt sich der Preis?

Darum kümmern sich sogenannte Ad Exchanges, „Werbe-Börsen“. Während sich eine Webseite mit Werbeplätzen, etwa Google-Suchergebnisse oder Spiegel Online, lädt, meldet sie die Informationen, die es über den Nutzer hat, an die Börse. Diese versteigert dann jeden Werbeplatz auf der Webseite an den Höchstbietenden. Diese Auktion läuft in weniger als 200 Millisekunden ab. Das funktioniert natürlich nur, indem Unternehmen, die werben wollen, ihre Auktionsstrategie vorher festlegen. Zum einen definieren sie dafür ihre Zielgruppe, zum anderen legen sie das Budget fest, ihre Gebotsstrategie, den Zeitraum sowie die Geschwindigkeit, mit der das Geld ausgegeben werden soll. Den Rest erledigt ein Algorithmus.

Was für Gebotsstrategien sind da üblich?

Interessanterweise kommt bei diesen Auktionen zu 95 Prozent die eher zweifelhafte „Even Pacing“-Strategie zum Zuge. Dabei wird das Werbebudget gleichmäßig über einen festgesetzten Zeitraum ausgegeben, um einen konstanten Werbedruck zu erzeugen. Wenn nach der Hälfte einer Zeiteinheit, z.B. eine Stunde, noch zu wenig ausgegeben wurde, wird automatisch höher geboten und umgekehrt. Klingt erst einmal logisch. Aber nach der Analyse von Daten einer Werbe-Börse, die rund 1000 Auktionen pro Sekunde durchführt, haben wir zu unserer eigenen Überraschung festgestellt, dass diese Standard-Strategie zu völlig paradoxen Preisen führt: Je weniger Nutzer online sind – also nachts –, desto höher sind die Gebote der Algorithmen. Das ist natürlich absurd.

Wie kommt das?

Weil nachts weniger Leute im Netz unterwegs sind, gibt es weniger Auktionen. Die Algorithmen sind jedoch so programmiert, dass sie den immer gleichen Betrag pro Zeiteinheit einsetzen müssen. Folglich erhöhen sie nachts die Gebote, während sie in den Hochzeiten tagsüber eher niedrig bieten. In unserem Forschungsbeitrag schlagen wir ein neues Verfahren vor, das wir „profit-maximizing pacing“ nennen. Die Idee dahinter ist, dass Unternehmen ihre Ausgabestrategie an die durchschnittliche Zahl von Nutzern je Tageszeit anpassen. Um rund um die Uhr gleich viele Leute zu erreichen, müssen sie tagsüber und am frühen Abend viel mehr Budget einsetzen als nachts. Das ist letztlich nicht überraschend, aber es hat sich bisher wohl noch niemand richtig angeschaut. Es ist ja ohnehin interessant, dass der Online-Werbemarkt im Grunde immer weniger mit Emotionen zu tun hat wie die klassische Werbung, sondern viel mehr mit analytischen Verfahren.

Löschen Sie Ihre Cookies regelmäßig?

Nicht allzu oft. Als Professor interessiert es mich natürlich, was die Unternehmen mit meinen Daten machen.

Würden Sie anderen empfehlen, es zu tun?

Das ist schwer zu beantworten. Auf der einen Seite gibt man eindeutig viel Privatsphäre preis. Andererseits bezahlen wir für die unglaubliche Vielfalt an Inhalten, die das Internet bietet, eben damit, dass wir Werbung akzeptieren – und mitunter gibt es ja auch Hinweise auf nützliche Produkte. Wenn man Online-Werbung verbieten würde, müsste man Inhalte kostenpflichtig machen. Ein solches Internet würde dann nicht mehr allen gesellschaftlichen Schichten nahezu alle Inhalte ohne Diskriminierung zur Verfügung stellen. Das wäre aus meiner Sicht schon ein großer Nachteil.

Die Fragen stellte Muriel Büsser.

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Dieser Artikel ist in der Ausgabe 2.16 des UniReport erschienen (pdf)

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