Nachruf auf Werner Meißner

* 24. April 1937   † 24. Juni 2025

Werner Meißner, geboren 1937 in Velbert, ist am 24. Juni 2025 im Alter von 88 Jahren verstorben. 

Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften trauert um einen bedeutenden Emeritus und inspirierenden Kollegen. Er war von 1994 bis 2008 der fünfte Präsident der Goethe-Universität und hat diese Zeit bis heute maßgeblich geprägt. Seinem strategischen Weitblick und seinem Engagement für den Erwerb des I. G. Farben-Hauses durch das Land Hessen ist es zu verdanken, dass am Campus Westend ein in Deutschland einzigartiger innerstädtischer Universitätsstandort entstanden ist. Zugleich wurde damit ein Ort geschaffen, der auch für die Frankfurter Stadtgeschichte von Bedeutung ist. Für sein vorbildliches Wirken und seine außerordentliche Tätigkeit in Forschung und Lehre wurde er im Jahr 2023 mit dem Hessischen Verdienstorden ausgezeichnet.

Werner Meißner begann 1956 das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der FU Berlin, welches er 1961 mit dem Diplom an der Universität zu Köln abschloss. Anschließend absolvierte er ein Graduierten-Studium der Volkswirtschaftslehre an der Stanford University in Kalifornien, das er 1964 mit einer Promotion zur Oligopoltheorie an der Freien Universität Berlin abschloss. G. Schwödiauer schreibt in seiner Besprechung der Dissertation: „Wie stark Meißner von der Kadeschen Kritik an der Mikroökonomik beeinflusst ist, ist bereits an dieser Stelle nicht mehr zu übersehen. Meißner verfolgt vor allem die Modifizierung des Informationsaxioms in oligopolistischen Entscheidungsmodellen, wobei er einen deterministischen Entscheidungstyp (welcher der traditionellen Oligopoltheorie, z. B. in der Chamberlinschen Variante, entspricht), einen stochastischen Entscheidungstyp (der durch eine wahrscheinlichkeitstheoretische Erfassung der Erwartungsstrukturen gekennzeichnet ist) und einen spieltheoretischen Entscheidungstyp unterscheidet. Was das letztere Modell anlangt, so konstatiert Meißner wesentliche Strukturgleichheiten von strategischen Spielen und oligopolistischen Marktprozessen.“ (Zeitschrift für Nationalökonomie, 1968, Heft 3/4, S.464)

Nach einem kurzen Intermezzo als wissenschaftlicher Mitarbeiter am DIW in Berlin ging Werner Meißner zu Hermann Wold nach Uppsala, um sich mit ökonometrischen Verfahren zu befassen. 1966 folgte er Gerhard Kade an die TH Darmstadt, der dort eine Professur für Statistik und Ökonometrie antrat. 1969 habilitierte Werner Meißner sich mit der Arbeit „Ökonometrische Modelle: Rekursivität und Interdependenz aus der Sicht der Kybernetik” für die Fächer Volkswirtschaftslehre und Ökonometrie. Auch in dieser Arbeit kommt der Bezug zum kritischen Rationalismus und zur keynesianischen Theorie schon in der Einleitung zum Ausdruck. Er folgte hier den Grundpositionen des Nobelpreisträgers Lawrence Klein, dessen Einführung in die Ökonometrie er ins Deutsche übersetzt hatte. Auch das fortgeschrittene Lehrbuch zur mikroökonomischen Theorie von Henderson und Quandt übersetzte er ins Deutsche. 

Nach seiner Berufung im Jahr 1971 auf die Professur für Wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Frankfurter Fakultät kamen neue Interessens- und Arbeitsbereiche hinzu. Makroökonomische Kernfragen wie der Zusammenhang von Investitionen und Gewinnen sowie strukturpolitische Themen traten hinzu. So löste sein Referat „Einkommenspolitik: Möglichkeiten der Messung und Kontrolle von Gewinnen” im Jahr 1974 bei der Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik einige Diskussionen aus. Darin befürwortete er, neben der Kontrolle der Lohnpolitik auch eine Kontrolle der Gewinne durchzuführen, und zeigte auf, wie undurchsichtig die deutsche Wirtschaftsstatistik bezüglich der Unternehmensgewinne war. Diese Debatte fand vor dem Hintergrund des ersten Ölpreisschocks statt, als sich der ÖTV-Vorsitzende Kluncker in den Lohnverhandlungen mit einer Lohnerhöhung von 11 % durchsetzte und damit eine Lohn-Preis-Spirale lostrat. Es ist klar, dass er als Sozialdemokrat eine gewisse Nähe zu gewerkschaftlichen Positionen hatte.

Nach einem Forschungssemester in Schweden veröffentlichte er 1974 sein Buch „Investitionslenkung“, das ebenfalls sehr kontrovers diskutiert wurde. Ich hatte als Student die Vorlesung gehört, die er 1974 dazu hielt. Das Thema hat unter den Stichwörtern „Industriepolitik“ und „Geopolitik“ wieder sehr an Bedeutung gewonnen.

Auch die Berichte des Club of Rome und die damit verbundenen umweltpolitischen Themen beschäftigten ihn in den 1970er Jahren. So wurde sein DFG-Antrag zu einem Forschungsprojekt zum Thema „Ökonomische Aspekte des Umweltproblems” positiv beschieden. Zusammen mit Erich Hödl hat Werner Meißner mehrere Gutachten für Bundesministerien verfasst. Es ging dabei um die positiven Aspekte des Umweltschutzes u.a. auf den Arbeitsmarkt und als Bestandteil von Konjunktur- und Wachstumsprogrammen. Viele aus dem Forschungsprojekt stammende Resultate flossen in ein gemeinsam mit Karl Georg Zinn verfasstes Buch „Der neue Wohlstand – Qualitatives Wachstum und Vollbeschäftigung“ (1984) ein.

Werner Meißner setzte sich oft kritisch mit herrschenden Lehrmeinungen auseinander, wobei dies selten in ideologiekritischer, sondern meistens in wirtschaftspolitischer Absicht geschah, wie in dem 1980 erschienenen Band „Die Lehren der fünf Weisen“. Auch als Hochschullehrer war er nach meiner persönlichen Erfahrung sehr erfolgreich. Rhetorisch gewieft, etwas lässig und oft mit süffisantem Unterton setzte er sich mit unterschiedlichen Lehrmeinungen auseinander und gewann dadurch die Aufmerksamkeit der Studierenden. Seine Seminare im Walsertal waren thematisch aktuell und gut besucht; seine Vorlesungen oft überfüllt.

Innerhalb des Fachbereichs beteiligte er sich im üblichen Umfang an der Selbstverwaltung und war von 1976 – 1977 Dekan.

Neben seiner Professur an der Goethe-Universität war er wissenschaftlicher Leiter und Geschäftsführer des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in Düsseldorf, das zu dieser Zeit noch in die Konjunkturprognose der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute eingebunden war.

Als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Hans-Böckler-Stiftung trug Werner Meißner ab 1995 zur Unterstützung der Stiftung bei und wirkte somit über die Stadtgrenzen Frankfurts hinaus. 

Er liebte die ironische Distanz, war aber stets zur Unterstützung bereit, wenn es darauf ankam. Hatte er etwas Spöttisches gesagt und hatte man es verstanden, wandte er die Kritik alsbald ins Konstruktive. An Grundüberzeugungen hielt er fest und ließ sich, war er in der Minderheit, nicht einschüchtern. Charaktere wusste er nüchtern einzuschätzen. In der Politik erwartete er eine konsequente Haltung. Er war aber kein Asket, sondern wollte das Leben auch genießen. Als die Einschränkungen zunahmen, die Alter und Krankheit mit sich brachten, trug er daran schwer. Seine Lebenspartnerin Linda Reisch, die frühere Kulturdezernentin, umsorgte ihn bis zuletzt.

Prof. Dr. Volker Caspari
Goethe Teaching Professor
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften